Rede zum 27. Januar 2025
10.02.2025 - aktualisiert am 10.02.2025 - 13:28

Ansprache der Bürgermeisterin zum Tag des Gedenkens der Opfer des nationalsozialistischen Terrors 27. Januar 2025
Liebe Bürgerinnen und Bürger,
heute jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zum 80. Mal. Am 27. Januar 1945 stieß die Rote Armee auf ein Lager des Grauens, das zu einem Symbol für den Holocaust wurde. Auschwitz steht stellvertretend für die systematische Ermordung von mehr als 1,2 Millionen Menschen an diesem Ort und für die unvorstellbaren Verbrechen der Jahre 1933 bis 1945.
Die nationalsozialistische Terrorherrschaft forderte Millionen Opfer: Mehr als sechs Millionen europäische Juden wurden ermordet. Mehr als 3,3 Millionen sowjetische Kriegsgefangene verloren ihr Leben. Sinti und Roma, Menschen mit Behinderungen, die von den Nationalsozialisten als "lebensunwert" verachtet wurden, sowie Widerstandskämpferinnen und -kämpfer, die aus politischen oder religiösen Gründen verfolgt wurden, zählen ebenfalls zu den Opfern.
Doch der Holocaust ist kein abstraktes Kapitel der Geschichte. Auch in Kamen hat er Spuren hinterlassen. Fast 60 Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens aus unserer Stadt wurden während der NS-Zeit ermordet. Etwa 50 konnten durch Emigration ihr Leben retten. Aber auch andere, die sich dem NS-Regime widersetzten, wurden verfolgt und getötet.
Die Bilder und Dokumentationen jener Zeit lassen uns auch heute noch fassungslos zurück. Wer einmal ein Foto von den ausgezehrten Überlebenden am Tag der Befreiung gesehen hat, wird es niemals vergessen. Als der damalige Bundespräsident Roman Herzog den heutigen Gedenktag ins Leben rief, betonte er: Die Frage ist nicht mehr, ob wir uns erinnern, sondern wie.
Wir in Kamen haben nicht vergessen!
Wir erinnern, um den Familien und Nachfahren der Opfer zu zeigen: Ihr seid nicht allein. Die Wunden dieser Zeit reichen über Generationen hinweg. Wir erinnern, um deutlich zu machen: Solche menschenverachtenden Taten dürfen sich niemals wiederholen. Und wir erinnern, um zu sagen: Wir trauern mit euch.
Rat und Verwaltung der Stadt Kamen stehen fest an der Seite aller, die von Hass, Ausgrenzung und Terror bedroht sind. Wir sind uns der Verantwortung bewusst, Menschen vor jeder Anfeindung zu schützen. Als Gemeinschaft stehen wir auf dem Boden des Grundgesetzes, schätzen die Demokratie und lieben die Freiheit.
Gerade in diesen Tagen ist dieses Bekenntnis von besonderer Bedeutung. Auch wenn uns die schrecklichen Ereignisse in Magdeburg und Aschaffenburg erschüttern, dürfen wir nicht daran zweifeln, zu unseren Werten zu stehen und sie zu verteidigen. Unsere Gesetze geben uns die Möglichkeit, die Sicherheit unseres Landes zu gewährleisten – sie müssen jedoch auch konsequent umgesetzt werden. Dabei dürfen wir niemals zulassen, dass diese Debatten auf dem Rücken von Menschen ausgetragen werden, die bei uns Schutz suchen und finden.
Die Befreiung von Auschwitz liegt 80 Jahre zurück. Die Lehren aus unserer Geschichte müssen Teil unseres Selbstverständnisses bleiben. Verantwortung tragen wir nicht nur für die Vergangenheit, sondern auch für das Hier und Heute. Die Zeit lässt Erinnerungen verblassen, doch wir müssen dem entgegenwirken. Das gilt auch mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl, bei der wir demokratisch über unsere Zukunft mitbestimmen können. Diese Möglichkeit dürfen wir uns nicht nehmen lassen. Es gilt, wachsam zu bleiben und den Schutz unserer demokratischen Grundordnung nicht aus den Augen zu verlieren. Was würden wir sonst unseren Kindern und Enkeln antworten, wenn sie uns eines Tages fragen: Wie konnte das geschehen?
Liebe Anwesende,
Erinnerung muss wachgehalten werden. Ich danke deshalb der Bürgerinitiative "Zivilcourage für Kamen", dem Haus der Stadtgeschichte und dem Förderverein der Kamener Stadt- und Kulturgeschichte für ihr Engagement. Im Anschluss an diese Gedenkstunde laden sie ins Haus der Stadtgeschichte ein, wo der Dokumentarfilm "Unterm Hakenkreuz. Westfalen 1933-1945 im Amateurfilm" gezeigt wird. Der Historiker Dr. Volker Jakob wird den Film einführen und die anschließende Diskussion moderieren.
Auch am Dienstag werden wir die Erinnerung lebendig halten: Mit dem Künstler Gunter Demnig werden wir in Kamen neun weitere Stolpersteine verlegen – zum Gedenken an Menschen, die einst Teil unserer Gemeinschaft waren, bis die Nationalsozialisten ihnen ihre Würde und ihr Leben nahmen. Dieses Unrecht darf sich nie wiederholen.
Ich möchte an dieser Stelle an Bogdan Bartnikowski erinnern, der heute 93 Jahre alt ist. Er war gerade einmal 12 Jahre alt, als Auschwitz befreit wurde. Kinder leben im Hier und Jetzt. Er erzählt, wie es war, als Kind in Auschwitz zu leben und an die Freiheit zu denken. „Wir haben noch am Anfang einen Kapo (das ist ein Häftling, der andere Häftlinge beaufsichtigen musste) gefragt: ‚Herr Kapo, warum sind wir hier in der Baracke? Wir haben doch nichts verbrochen. Wir wollen nach Hause, in die Freiheit.‘ Er hat freudig gekichert: ‚In die Freiheit. Seht ihr diese Schornsteine hier? Nur hier kommt man zur Freiheit - durch diesen Kamin, es gibt keinen anderen Weg in die Freiheit.‘“ Diese Worte haben ihn geprägt. Doch er sagt auch: "Man muss sich erinnern, was war. Aber man muss nicht in Hass leben. Wir dürfen uns erinnern, dürfen jedoch keine Wut auf moderne Menschen empfinden, die keinen Krieg und kein Unglück verursacht haben." Aber wir alle tragen Verantwortung.
Mit diesen Worten möchte ich schließen. Lassen Sie uns nun den Kranz niederlegen und gemeinsam der Opfer gedenken.
Ich danke Ihnen.